Quelle: dpa_Hannes Herrmann
Magazin MitbestimmungRätselhaftes Fundstück: Ruhender Verkehr
In Köln inszeniert der Happening-Künstler Wolf Vostell im Jahr 1969 den Tod des Automobils. Kaum jemand versteht, was das soll. Das Jahrzehnt, das der autogerechten Stadt gehuldigt hat wie kein anderes, geht gerade zu Ende. Von Kay Meiners
Der Opel Kapitän, den Wolf Vostell fährt, ist neun Jahre alt, als ihn sein Besitzer zum Sterben verurteilt. Er wird ihn mit Holz verschalen und einbetonieren lassen, mit laufendem Motor und eingeschaltetem Radio. Mitten auf der Kölner Domstraße vor der Galerie art intermedia. Die Idee hat Vostell aus Amsterdam mitgebracht, wo ein einbetoniertes Tonbandgerät des US-Künstlers Bruce Nauman gezeigt wird – mit einem auf dem Band aufgezeichneten Schrei. Warum nicht etwas Größeres in Beton einfrieren? Den Konsumtraum der Deutschen?
Ein Film hält fest, wie sehr das anarchische Treiben die Leute vor den Kopf stößt. Eine Frau sagt: „Ich halte gar nichts davon, das ist doch ein Verkehrshindernis.“ „Grober Unfug ist noch zu glimpflich ausgedrückt“, sagt ein Mann. „Was wäre, wenn das jeder machen würde, der ein paar Mark in der Tasche hat? Wie es in einem Jahr in Köln aussähe?“
Vostell liebt die Provokation – auch durch seine äußere Erscheinung. Er sieht aus wie die bösartige Karikatur eines Juden aus der nationalsozialistischen Propaganda: Schläfenlocken, Bart, Pelzmütze, Kaftan, protzige Ringe an den Fingern. Er sieht darin eine Therapie für sich und die Nachkriegsgesellschaft, die sich dem Konsum hingibt: Indem er vorgibt, das zu sein, was die Nationalsozialisten in ihrer Propaganda erst schufen und dann bekämpften, stellt er sicher, dass der Mord an den Juden nicht vergessen wird – und macht sich selbst zur Antifigur des Nationalsozialismus.
Er stellt auch vieles infrage, was den Deutschen seit 1945 heilig ist: das Verdrängen der schrecklichen Vergangenheit ebenso wie den Konsumrausch und die autogerechte Stadt. Gerade wird in Köln die Nord-Süd-Fahrt gebaut, eine Schneise, die auf die historischen Stadtviertel oder untergeordnete Verkehrswege kaum Rücksicht nimmt. Vostells Plastik „Ruhender Verkehr“ ist der Vorbote einer fernen Zukunft. Er wünscht sich, dass die Skulptur einen normalen Parkplatz besetzen soll. Das bedeutet die „ideale gesellschaftliche Relevanz“. Einen Parkplatz besetzt die Skulptur „Ruhender Verkehr“ nur kurze Zeit. Dann geht sie auf Reisen, wird in Paris ausgestellt und in Berlin. Danach stellt man sie vor der Kölner Kunsthalle ab und schließlich auf dem Mittelstreifen einer viel befahrenen Ringstraße, wo sie den Verkehr nicht stört.
Rätselfragen
In einer Industriestadt nicht weit von Köln wurde Wolf Vostell geboren. Welche Stadt suchen wir?
Wer schrieb im Jahr 1959 das Buch mit dem Titel „Die autogerechte Stadt: ein Weg aus dem Verkehrs-Chaos“?
Wie heißt die Straße, auf deren Mittelstreifen heute die Plastik „Ruhender Verkehr“ steht?
Alle richtigen Einsendungen, die bis zum 24.03.2023 bei uns eingehen, nehmen an einer Auslosung teil.
Preise
1. Preis: Gutschein der Büchergilde Gutenberg, Wert 100 Euro
2.– 4. Preis: Gutschein der Büchergilde Gutenberg, Wert 50 Euro
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Auflösung der Rätselfragen 6/2022
Botenjunge, Willy Brandt, 2010
Den 1. Preis hat Fritz Rosner aus Heddesheim gewonnen. Je einen 50-Euro-Gutschein erhalten Claudia Winter aus Trier, Ramon Rimpler aus Braunschweig und Roland Walter aus Rastatt.